Fahrrad fahren gehört in unseren Breiten zum Alltäglichen. Im Regelfall vermitteln uns dies Mutter und Vater bereits in jungen Jahren. Meist wirkt es etwas befremdlich, wenn uns jemand sagt, dass er kein Fahrradfahren kann. Das sieht in den Ländern, aus denen Geflüchtete kommen, ganz anders aus. Auch dort wird im Kindesalter das Fahrrad fahren erlernt, aber hauptsächlich nur von Jungen. Dort wird das Fahrrad aber eher als Spielzeug gesehen und nicht als Fortbewegungsmittel. Für Frauen ist es absolut unschicklich Fahrrad zu fahren und es wird als unüblich und nicht notwendig angesehen.

Um so weniger erstaunlich ist die Feststellung einer syrischen Frau – „Wie, ihr habt hier sogar Straßen für Fahrräder?“

Gibt es so etwas eigentlich auch in Berlin?

Anne & Annette - das Herzstück von #Bikeygees

Anne & Annette – das Herzstück von #Bikeygees

September 2015 – Annette sieht in einem Video wie Geflüchteten das Fahrradfahren beigebracht wird und stellt sich die Frage, ob es so etwas nicht auch in Berlin gibt. Ihre Feststellung, dass Fahrradfahren Glücksmomente und ein Gefühl von Freiheit erzeugt, teilt sicherlich die Mehrheit von uns. Dazu kommt, dass Fahrradfahren relativ leicht zu vermitteln ist, die Sprache nur eine untergeordnete Rolle spielt und sich schnell ein sichtbarer Erfolg einstellt.

Anne wollte nach ihrem Sabatical auch etwas zurückgeben. „Erst hatte ich überlegt ins Flüchtlingslager nach Lampedusa zu fahren. Und dann fiel mir auf, dass das gar nicht nötig ist, weil man auch ganz einfach vor der Haustür helfen kann.“

So entstand #Bikeygees – die Idee geflüchteten Frauen das Fahrradfahren beizubringen.

„Wir glauben, dass das Fahrradfahren einen grundlegenden Baustein der (Zurück-)Erlangung individueller Mobilität der nach Berlin gekommenen geflüchteten Menschen / Newcomer darstellt. Besonders Frauen benötigen hierbei Unterstützung. Viele Wege werden zu Fuß gemacht. Sie fühlen sich in ihren Unterkünften isoliert. Das Fahrradfahren bietet eine naheliegende Lösung, das neue Lebensumfeld zu erkunden, zudem öffentliche Verkehrsmittel oftmals eine finanzielle Barriere darstellen.

Daher ist es uns jenseits des interkulturellen Aspektes wichtig, die Möglichkeit des Radelns als nachhaltigen Ansatz zur Gewährleistung von Mobilität und Unabhängigkeit zu betrachten. Die Initiative soll Perspektiven und Hoffnung derer bestärken, die durch den Verlust ihrer Heimat eigene Handlungsräume verloren haben.“

Gesagt – getan

Anfänglich gingen die Zwei mit einer Luftpumpe wedelnd durch die Traglufthalle der Berliner Stadtmission und waren erstaunt von dem positiven Feedback. Mittlerweile sind sie mit diversen Notunterkünften vernetzt.

Erst haben Annette, Anne und Freunde ihre eigenen Fahrräder zur Verfügung gestellt. Durch Aufrufe in den Sozialen Medien und im Freundes- und Bekanntenkreis kamen immer mehr gespendete Fahrräder dazu, die derzeit noch mit dem eigenen Auto von Event zu zu Event gefahren werden. Tatkräftige Unterstützung gibt es auch vom Fahrradladen „Antrieb“ in der Grünberger Straße, der schon mal gespendete Fahrräder kostenfrei wieder fahrtüchtig macht.

Die größten Probleme liegen in dem nicht Vorhandensein von festen Veranstaltungsorten, an denen auch die Fahrräder gelagert werden können. Auch wünschen sich die beiden mehr Unterstützung von den Jugendverkehrsschulen und mehr fest verplanbare Helfer.

Nix Kleinvieh

Auch Kleinreparaturen an Fahrrädern werden vermittelt

Auch Kleinreparaturen an Fahrrädern werden vermittelt

Mittlerweile beschränkt sich die ehrenamtliche Tätigkeit nicht mehr nur auf das Vermitteln der Benutzung von Pedale und Lenker. Zwei Mal pro Monat sind daraus richtige Events geworden, die von bis zu 50 ehrenamtlichen Helfern in wechselnder Besetzung unterstützt werden. Das geht dann vom Verkehrsunterricht – der zum Teil in Farsi, Arabisch und Kurdisch abgehalten wird – über Schrauberworkshops bis hin zum vergnüglichen Beisammensein. Und wir reden hier von Teilnehmerzahlen zwischen 15 und 120 geflüchteten Frauen.

Das Angebot richtet sich übrigens an alle Frauen ob geflüchtet oder nicht, die sich im wahrsten Sinne des Wortes gegenseitig unter die Arme greifen wollen. Da wird dann auch mal mit Händen und Füßen kommuniziert. Wichtig ist den beiden die Animation zur Hilfe untereinander, was auch den Austausch zu anderen Themen fördert.

Am Ende gibt’s dann auch schon mal ein Fahrrad

Das Logo der Bikeygees - als Dankeschön von einer Teilnehmerin entwickelt

Das Logo der #Bikeygees – als Dankeschön von einer Teilnehmerin entwickelt

Bis zum heutigen Tag haben 150 Frauen dank der Hilfe von Annette und Anne und ihrer ehrenamtlichen Unterstützer das Fahrradfahren gelernt. Das ist aber noch nicht alles. 25 von ihnen wurden mit einem gespendeten und neu aufgebauten Fahrrad, Helm, Schloß, Sicherheitsweste, Korb oder Fahrradtasche und einem Berliner Stadtplan ausgestattet. OnTop gab es dann noch ein Besitzerzertifikat, um auf der sicheren Seite zu sein.

Auch wenn es nicht erwartet wird, aber Danke wird in unterschiedlichster Form gesagt. Schon allein das regelmäßige Wiederkommen, auch wenn sich der Erfolg manchmal nicht sofort einstellt, das Lachen der Frauen, die gegenseitige Unterstützung und Freundschaften die darüber hinaus entstehen sind den Initiatoren Dank genug.

Manchmal fällt dieser aber auch unerwartet anders aus. So hat beispielsweise eine Teilnehmerin, die als Grafikdesignerin tätig ist, als Dankeschön das Logo der #Bikeygees entwickelt und umgesetzt.

Momentan finanzieren sich die #Bikeygees zu 100% über Spenden. Die Gründung eines Vereins ist fest in Planung.