Kein Barcamp ohne Bar (Screenshot: WelcomeCamp 2021)

Netzwerktreffen, (Un-)Konferenz & keinen Pixel den Faschisten: Genauso haben wir uns das digitale WelcomeCamp vorgestellt.

Natürlich waren wir, wie auch viele unser regelmäßigen Teilnehmer*innen enttäuscht, dass wir uns zum zweiten Mal nur virtuell treffen konnten. Und wie schon im letzten Jahr, war Verschieben oder Absagen keine Option. Zu dringend die Themen, zu groß die Sehnsucht nach persönlichen Begegnungen und einem konstruktiven Austausch für das gesellschaftliche Miteinander – nicht nur trotz sondern gerade wegen des Corona-Virus, das vor allem eine Herausforderung für weniger privilegierte Menschen darstellt und auch vor Initiativen nicht Halt macht, die die unterschiedlichen Missstände nicht akzeptieren wollen und aktiv an einer Verbesserung arbeiten.

Disclaimer: Das WelcomeCamp 2021 ist eine Veranstaltung von Gesicht Zeigen! e.V. im Projekt Media Residents und wird gefördert vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

 

Unser Motto: Die perfekte Welt

Zugegeben, selten war ein Motto des WelcomeCamps – zumindest auf den ersten Blick – unpassender und damit ist nicht nur die Pandemie inkl. der damit einhergehenden Einschränkungen gemeint: Anhaltender Rechtsruck, Hass im Netz, Rassismus in Institutionen und Gesellschaft, Abschottung und Fluchtursachen, wie Kriege, Krankheiten und der Klimawandel, unter denen Menschen leiden, ihre Mitmenschen verlieren oder ihr eigenes Leben verlieren. Und das alles, während es in Mitten eines entscheidenden Wahljahres statt um Teilhabe, Menschenrechte und Gemeinsinn, vor allem um Korruption sowie fehlende Fußnoten geht.

Was wirklich wichtig ist, zeigen wiederum kleinere Projekte und größere Institutionen jeden Tag. Ganz aktuell: Bewegungen wie Black Lives Matter und FridaysForFuture, Initiativen wie Deutsche Wohnen & Co. enteignen oder die Kampagne Menschenrechte sind #unverhandelbar unter anderem von der Seebrücke ins Leben gerufen. Letztgenannte haben das WelcomeCamp als Plattform für eine digitale Kundgebung genutzt und damit die sechste Ausgabe unseres Barcamps eröffnet. Denn wie in all den Jahren zuvor, egal ob analog oder digital, möchten wir keinen Selbstzweck verfolgen, sondern sehen die Veranstaltung als Plattform zur Vernetzung und Sichtbarmachung von Visionen und Möglichkeiten für eine solidarische und weltoffene Gesellschaft, die für uns eine perfekte Welt ausmachen. Und genauso haben wir auch die Veranstaltung geplant. Mit einem positiven Blick in die Zukunft und mit Beiträgen über Werkzeuge und Wege, diese gemeinsam zu erreichen.

Aber bitte im Barcamp-Format

Ein Barcamp wie unseres lebt natürlich von den Begegnungen und Gesprächen, der Stimmung, der Nähe, dem Vertrauen und nicht zuletzt einem Rahmenprogramm, das (multi)kulturell eine Atmosphäre schafft, die trotz der ernsten Themen einen freien und kreativen Austausch ermöglicht. Die, die schon mal bei uns waren, wissen was gemeint ist.

Nachdem wir 2020, bei der ersten digitalen Ausgabe, noch auf ein Netzwerk aus Zoom-Räumen mit allen Möglichkeiten und Herausforderungen gesetzt haben und den Eventcharakter auf Twitch bzw. ALEX Berlin und dringeblieben.de ausgelagert und auf Youtube festgehalten haben, wollten wir den Konferenz- und den Kulturteil enger miteinander verzahnen und dafür sorgen, einer Offline-Veranstaltung so nah wie möglich zu kommen. Unsere Wahl fiel nach einigen Tests verschiedener Plattformen auf gather.town, wo wir eine eigene Welt erschaffen konnten und sie für unser Teilnehmer*innen als Avatare erleb- und begehbar gemacht haben. Für die Möglichkeit noch mal ein großes Dankeschön an unsere Hostingpartner von Mittwald!

Es gab unter anderem einen Einlass, einen Hof und natürlich das Plenum. In dieser Ausgabe mit Lagerfeuer-Atmosphäre und Pools, um sich zumindest virtuell abkühlen zu können. Immerhin war der Veranstaltungstag, also der 19. Juni 2021, der mit Abstand heißeste Tag in diesem Sommer, weshalb wir Vorstellungsrunde und Sessionpitch, die wichtigsten Elemente beim Barcamp, bei einem echten Treffen wahrscheinlich nicht an einer knisternden Feuerstelle gemacht hätten. In dieser digitalen Welt jedoch kein Problem.

Das Wichtigste sind die Menschen und ihre Themen

Neben den – trotz Wetter und Deutschlandspiel – zahlreichen Teilnehmer*innen war das erste Highlight die Performance des Erfurter Rappers Mbp mit seinem Song „Angriffsfläche“ über rassistische Erfahrungen, die er als Kind eines kubanischen Vaters in seiner deutschen Heimat erleben musste und damit eines von vielen wichtigen Themen setzte, die auch in den Sessions aufgegriffen wurde.

Besonders hat uns natürlich der digitale Aspekt gefreut, den viele Initiativen mitgebracht haben, zum Beispiel:

  • Hass und Hetze in der Gaming Szene mit der Initiative Keinen Pixel den Faschisten
  • Twitch-Stream und Social Media Kampagne von der UNO Flüchtlingshilfe
  • Rassismusworkshop mit VR Brillen von BrückenBauen UG
  • Online-Campaigning für eine perfekte(re) Welt mit Change.org

Ein weiterer Schwerpunkt lag im Bereich der Partizipation und des optimistischen Austausches:

  • Inklusion statt Integration mit Anas Alhakim und Martin Schienbein („Dein Kollege für Barrierefreiheit“)
  • Analphabetismus und Strategien mit dem VHS Ehrenamtsportal
  • Storytelling-Circle und das perfekte Miteinander von DEEP Germany
  • Nachrichten, die wir gern lesen mit Sham Jaff (what happened last week)

Sowie nicht zuletzt aktuell, gesellschaftlich relevante Themen:

  • Polizei und Geflüchtete im Dialog
  • Politiker*innen und ihre Fluchtgeschichte mit Reem Alabali, Tarek Saad, Tareq Alaows und Sophia Oppermann (Gesicht Zeigen! e.V.)
  • Radikale Transformation für eine solidarische Community mit Niki Drakos von der HipHop-Partei Die Urbane
  • Expedition Grundeinkommen

In unserer Sessiondokumentation werden wir auch in diesem Jahr alle Sessions zusammenfassend und mit den wichtigsten Links nachbereiten. Der Anfang ist bereits gemacht. Bitte hier entlang!

Jede Session, egal ob Workshop oder Diskussion, fand übrigens in einem eigenen virtuell begehbaren Raum statt, inkl. Breakout-Sitzecken, Leinwänden und Whiteboards sowie Wasserspendern und Büropflanzen. Das heißt, durch unsere Raumpaten war jeder Raum exklusiv und individuell gestaltet. Neben dem Dokumentationsteam inkl. der Sketchnotes von Karo, hatte das Team immer Einblick und konnte bei technischen Herausforderungen schnell “vor Ort” sein; ein Angebot, das gern angenommen wurde. Das Einschreiten aufgrund von fehlender Gesprächskultur war glücklicherweise nicht nötig. Im Gegenteil: die Teilnehmer*innen fühlten sich auch aufgrund des Einladungsmanagements zu unserem Safe Space ausgesprochen wohl und konnten sich auf das Wesentliche konzentrieren: Ihre Themen.

Viel Input braucht viel Abwechslung

Mit der Niedrigschwelligkeit zur Teilnahme (Link), der Themenvielfalt und den Austausch- sowie Rückzugsmöglichkeiten, haben wir die Pflicht erfüllt, auch wenn es natürlich an der einen oder anderen Stelle etwas ruckelte. Aber diese Erfahrungen gehören zum Ausprobieren dazu. Am Ende haben alle ihre Sessions gefunden, ihre Netzwerke erweitert und – das als Kür – etwas für Körper und Seele getan.

So haben wir in den Sessionpausen Yogakurse in einem eigens eingerichteten Yoga-Park angeboten, um für etwas Bewegung bei den Menschen hinter den Avataren zu sorgen. Dazu gab es zwei begehbare, interaktive Ausstellungen: Bei Maria & der Paragraph vom Team des Münzenberg Forums am FMP1 ging es um die Geschichte von §218 mit aktuellen Podcasts und historischen Zeitdokumenten. In einem weiteren virtuellen Ausstellungsraum haben Tänzer*innen unser Motto aufgegriffen und die Bewegung in eine perfekte Welt choreographisch umgesetzt.

Und wer einfach nur eine kleine Pause brauchte, konnte sich in die digitale Bar zurückziehen, wo SOLIDRINKS, Litfassbrause, fritzkola und Ben&Jerry-Eis zumindest virtuell ihre schwitzenden Abnehmer*innen fanden. Hier war dann auch der Ort des Geschehens unseres letzten Programmpunktes. Nach der für ein Barcamp-klassischen Feedbackrunde ergriff Poetry Slammer Aidin Halimi in seiner Rolle als Spitzenkandiat der fiktiven Partei Die Faulen das Wort und hielt ein ironisches, ikonisches Plädoyer für das Nichts-Tun. Spätestens an diesem Abend tatsächlich eine willkommene Option für das engagierte Team und die ausdauernden Teilnehmer*innen, nach einem ereignis- und ergebnisreichen Barcamp in gather.town.

 

Wir freuen uns auf das nächste Jahr! Vielleicht wieder live und vor Ort als Netzwerktreffen, (Un-)Konferenz und wieder ein Stückchen näher an der perfekten Welt.

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