Deutschland und seine Menschen verändern sich. Und damit auch die politische Landschaft. In dieser Session stellen wir die Frage nach der Repräsentation von Geflüchteten in der Politik und die Verantwortung der Zivilgesellschaft, diese Diversität auch zu fördern.
Um eine gewisse Struktur für diesen Text zu gewährleisten, haben wir es in einer Art Interview-Format aufbereitet. Die Fragen stellte die Moderatorin Sophia Oppermann, Geschäftsführerin vom Verein Gesicht Zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland e.V.
Unsere Gäste:
Tareq Alaows
Vor sechs Jahren kam Tareq Alaows aus Syrien nach Deutschland. Er lernte Deutsch, engagiert sich bei der Seebrücke und im Flüchtlingsrat, in Berlin arbeitet der Jurist als Rechtsberater für geflüchtete Menschen. Im Februar kündigte er an, für die Grünen im Wahlkreis Oberhausen-Dinslaken um einen Platz im Bundestag kandidieren zu wollen. Wenige Wochen später zog er die Kandidatur zurück, weil er rassistisch angefeindet und seine Familie in Syrien bedroht wurde.
Gleich diskutiere ich mit @ReemAlabali und @TarekSaad_sh über unser Bild von einer idealen Welt beim @welcomecamp
Ich freue mich schon— Tareq Alaows (@Tareq_Alaows) June 19, 2021
Reem Alabali-Radovan
Reem Alabali-Radovan ist seit 14. Januar 2020 die Integrationsbeauftragte der Landesregierung. Zuvor war sie die Leiterin des Büros der Landesintegrationsbeauftragten im Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung. Ab 2015 arbeitete sie im Amt für Migration und Flüchtlingsangelegenheiten des Landesamtes für innere Verwaltung Mecklenburg-Vorpommern in der Erstaufnahmeeinrichtung Nostorf-Horst und der Außenstelle Schwerin/OT Stern Buchholz in verschiedenen Funktionen.
Mit dem Integrationsfonds konnten wir 2020 über 47 Projekte in MV unterstützen. Mein Dank gilt allen Akteuren, die sich engagieren. Jede einzelne Initiative fördert nicht nur die Integration, sondern stärkt auch den sozialen Zusammenhalt.
Zur PM: https://t.co/vGoam33VLD— Reem Alabali-Radovan (@ReemAlabali) February 10, 2021
Tarek Saad
Tarek Saad floh 2014 schwer verwundet aus Syrien nach Deutschland. In Kiel will er nun bei der SPD durchstarten und das Asylrecht humaner machen. Dafür studiert er Politikwissenschaft . Er ist Landesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt.
Die US Wahlen lässt mich nur darüber nachdenken, wann haben wir die vereinten Staaten Europa? Dies braucht die Welt mehr als jezuvor.
— Tarek Saad (@TarekSaad_sh) November 8, 2020
Was war eure Motivation, euch politisch engagieren?
Reem Alabali-Radovan:
Mich motiviert, dass wir immer noch viel zu wenige Menschen in den Parlamenten haben, die einen „diversen“ Background haben.
Tarek Saad:
Die Suche nach Freiheit und neuer Heimat, diese Heimat mitzugestalten und aufzubauen, das sind Dinge, die ich in meiner alten Heimat nicht machen konnte.
Tareq Alaows:
Ich trage für viele Menschen Verantwortung, die entweder hier angekommen sind, oder noch nicht angekommen bin. Ich habe die Verantwortung, mitzugestalten.
Was wäre die parteipolitische Forderung, um zu mehr Diversität zu kommen? Sind es Quoten? Sind es Förderprogramme, Stipendien oder Förderprogramme?
Reem Alabali-Radovan:
Ich spreche an dieser Stelle nur für mich und sehe das aus zwei Perspektiven. Ich bin Integrationsbeauftragte und sehe auch den öffentlichen Dienst ganz stark, bei dem wir ja auch anfangen müssen, als Vorbildfunktion für Unternehmen. Besonders auf Landes- und Bundesebene gibt es noch eine Menge zu tun. Vonseiten der SPD gibt es da verschiedene Vorschläge. Die AG Migration und Vielfalt ein Ministerium für Einwanderungsgesellschaft. Das Ziel sollte es sein, dass ein Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass wir eine Einwanderungsgesellschaft sind. Es muss einen stärkeren Fokus auf Integration, Aufenthaltsrecht, Migrationspolitik, Demokratieförderung, Antirassismus innerhalb dieses Ministeriums geben.
Ist es manchmal ein Problem, dass man als Mensch mit Migrationshintergrund auf eben diese Themen „reduziert“ wird?
Tarek Saad:
Meiner Meinung nach, sollte die Politik „geleitet“ werden. So ist anzumerken, dass die SPD mittlerweile etwas nach links gerückt ist. Zuvor galt sie als konservativer. Die Menschen machen und leiten die Partei. Ich interessiere mich auch für Infrastruktur-Politik oder Kulturpolitik ansprechbar. Es dauert natürlich Jahre, bis man Generalist wird. Das Ganze braucht Zeit, aber diese Demokratieprozesse ermöglichen jeden, mitzumachen.
Konkret: Gibt es das Parteiprogramm in euren Parteien (SPD, Grüne) in „30“ verschiedenen Sprachen, oder müssen es sich Interessierte auf Deutsch anschauen?
Tareq Alaows:
Tatsächlich arbeite ich daran und das wird es zukünftig geben. Das Parteiprogramm hat natürlich hunderte von Seiten, aber an einer Zusammenfassung wird gearbeitet. In Dinslaken und Oberhausen wurde das auf kommunaler Ebene schon einmal gemacht. Für mich ist das ein starkes Signal, denn wir reden von über 1.000.000 Menschen, die nach Deutschland gekommen sind. Und es ist natürlich gewollt, dass diese Menschen so Zugang bekommen.
Reem Alabali-Radovan:
Ich glaube nicht, dass das Zukunftsprogramm bereits mehrsprachig verfügbar ist. Aber es wäre natürlich wünschenswert. Das gilt aber sicher für den Großteil der bestehenden Parteien. Was ich aber machen möchte: Für die Menschen in meinem Wahlkreis wollen wir mehrsprachige Flyer auf Russisch und Arabisch erstellen. Möglich ist es auf jeden Fall und es sollte auch von zentraler Stelle mitgedacht werden.
Und auf Landesebene?
Tarek Alaows:
Im Landesverband ist es mittlerweile Normalität geworden seit einigen Jahren. Verschiedene Themen, die die Gesellschaft betreffen, werden mehrsprachig plakatiert. In bestimmten Orten. Man weiß ja, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben. Wenn ihr die Zukunftsprogramme auf Landesebene in den nächsten Wochen googelt, werdet ihr mehrsprachig fündig. Wir wollen natürlich, dass die Leute wählen gehen.
Welche Netzwerke, ob analog oder digital, haben euch weitergebracht?
Reem Alabali-Radovan:
Auch wenn ich die App nur sehr kurze Zeit genutzt habe, war es für mich auf jeden Fall Clubhouse. Diese Niedrigschwelligkeit war toll. Allein durch diese Raumnamen. So gab es zum Beispiel „Mittag im Regierungsviertel – BIPOC-Version“, weil sie sich in dem „richtigen Raum“ nicht so wohlfühlten oder das Gefühl hatten, dass es einen weiteren Raum braucht. Das ist mir als positives Beispiel in Erinnerung geblieben.
Tareq Alaows:
Im Gegensatz zu Reem liegt mir eher die direkte, persönliche Ebene. Das hat mir viel gebracht. In kurzer Zeit habe ich viele Menschen kennengelernt, die auch gar nichts mit Berufspolitik zu tun hatten- oder haben wollen. Diese Ebene war für mich mega hilfreich.
Tarek Saad:
Die besten Netzwerke die man haben kann, sind keine zwei Gruppen oder Positionen, sondern die Gesellschaft an sich. Darauf zähle ich und mit denen arbeite ich.
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